13. Palaver Kritik und Abwehr am 9. März 24

Ein guter Umgang mit Kritik ist für unser Miteinander von grundlegender Bedeutung. Also auch für jede Art von Gemeinschaftsbildung.

Wir gehen ständig urteilend durch die Welt. Bei allem, was wir tun, versuchen wir vorher zu ergründen, ob es gut oder weniger gut für uns ist.

Hier geht es um Kritik an oder Bewertung von anderen Menschen. Auch hier wieder leider die Tendenz, Verhältnisse zu vereinfachen. Einfache Lösungen, saubere Unterscheidung zwischen richtig und falsch, gut und ungut.

Auf der einen Seite Kritik als einen der wertvollsten und in unserer Gesellschaft leider unzureichend genutzten Impulsgeber, auf der anderen Seite der Versuch, anderen Menschen völlig ohne Wertung zu begegnen. Vorschläge und Versuche dazu liegen im Trend.

Bei Versuchen, aus der Bewertung herauszukommen, geht es aber oft nur darum Abwertung bzw. neg. Bewertung oder Kritik sein zu lassen, während positive Bewertung gefragt ist: wir sind alle wundervoll, großartig, liebenswert, göttlich. Oder: wenn wir nur in unserer Mitte sind, dann wird alles gut, voller Schönheit und Harmonie. Dann braucht es keine Kritik, nicht einmal Fingerzeige.

Meiner Meinung nach findet da so eine Art Infantilisierung statt. Ohne Bewertung sind alle glücklich. Ich bewerte dich nicht, du bewertest mich nicht, schon sind wir happy zusammen. S. z.B. bei P. Franckh, Happyness House.
Ist das nicht eine Schein-, eine Pseudogemeinschaft? Wie bei der ersten Stufe der Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck. Eine schwärmerische Phase, auch eine sehr oberflächliche Phase, der eine Vermeidungsstrategie zu Grunde liegt, in der man glaubt, sich nicht öffnen, seine Schwächen nicht zeigen, seine (wahren, verborgenen) Ziele nicht benennen zu müssen.

Mal abgesehen davon, dass bei so viel Beschränkung auf die eigene Mitte Gesellschaftskritik gar nicht mehr vorkommt. Die bleibt aber nötig. Es ist auch infantil, zu glauben, wir hätten unser Glück ganz alleine in der Hand. Und da gibt es genug Meinungen von Entscheidern, die man kritisieren oder auch zivilisiert verachten kann.

Dazu : „Scheiß auf Selflove, gib mir Klassenkampf. Eine Kapitalismuskritik“ von Jean-Philippe Kindler

Wie also könnte eine differenzierte Sicht auf die Rolle von Kritik aussehen? Wie mit Kritik umgehen?

Ich erlebe oft, dass auch auf milde Kritik oder etwas, was man noch unter Klärung einordnen könnte, vorsichtshalber sofort Abwehr erfolgt. Also Abwehr schon vorsorglich fest eingebaut, falls da Kritik mit dabei sein könnte.

Beispiel: Wenn bei mir in der Küche Töpfe zur Spülmaschine gestellt werden, macht es Sinn, dass sie leer sind, weil sonst das Sieb verstopft. Das kann man erreichen, indem man schon am Tisch auch den verbleibenden letzten Löffel sauber auskratzt. Leer machen ist jedenfalls sinnvoll.

Spreche ich darauf an, bekomme ich Antworten wie: ach, da war ich im Moment grad nicht konzentriert, weil …, also auch: ein Einzelfall. Mach ich normalerweise nicht.

Im Gespräch danach stellt sich anderes heraus. Die Antwort hätte sein können: ach, da acht ich gar nicht drauf. Habe ich noch nicht drüber nachgedacht.

Auch gut. Jetzt lässt sich das klären.

Warum aber diese Abwehr?

Und bei anderen Fällen bisweilen eben nicht nur einfaches nein, sondern aufwendig konstruierte Ausflüchte.

Beim Widerstand in der Psychoanalyse oder gegen sonstige Kritik, die an die Wurzeln geht und auch das Individuum in Frage stellt, mag das verständlich sein.

Warum aber schon bei so banalen Sachen?

Meine Deutung: Dieses Bedürfnis, sich nicht die geringste Blöße geben zu wollen, ist anscheinend in Fleisch und Blut übergegangen und führt sozusagen zu automatisierten Abwehrreaktionen. Evtl. ist der Individualismus und die Konkurrenz so weit, dass selbst kleine Blößen unangenehm sind..
Eine eher öffentliche Vertrauensgemeinschaft oder ein Gesellschaftssystem gibt es schon gar nicht mehr, in der man es wagen könnte, die kleinste Schwäche zu zeigen. Selbst intime Paarbeziehungen sind oft kein geeignetes Konstrukt für einen Reifeprozess hin zu erwachsenem Verhalten, wenn scheinbar alles mit der Zusammengehörigkeit steht oder fällt und die Angst groß ist, den Partner zu verlieren. Da liegt für mich das eigentliche Problem.

Andererseits: andere nur zu belehren und ihnen zu sagen, wie sie zu sein haben und sich verhalten müssten, damit alles gut wird, ist einerseits überheblich und führt andererseits berechtigterweise nur zu Abwehrhaltung. Zumal wenn es offensichtlich mehr um die Grandiosität des eigenen Standpunktes als um das Interesse am Gegenüber geht. So entsteht sicher keine Gemeinschaft.

Der rein intellektuelle Weg, bei dem versucht wird, solange zu diskutieren, bis alle Unterschiede in den Meinungen und Haltungen gleichgemacht sind oder alle sich gefügt haben, führt eher ins Chaos bzw. in die Spaltung. Das ist leider oft die zweite und letzte Stufe beim Versuch der Gemeinschaftsbildung nach Scott Peck.

Es gibt weitere Modelle den Umgang mit Kritik auf vereinfachende Weise meist durch Abwehr in den Griff zu bekommen:

– „wenn jemand kritisiert, dann ist das alles sein Problem und hat nur mit ihm zu tun“

Dazu: ich muss mir sicher nicht gleich alles zu Herzen nehmen. Ich kann mir den Zusammenhang anschauen. Ist jemand betrunken und beschimpft mich?
Dass eine Kritik etwas mit dem Kritiker zu tun hat, ist aber fast trivial. Wahrscheinlich hat er sich mit dem Kritikpunkt auch bei sich selbst beschäftigt. Macht ihn aber vielleicht gerade zu einem guten Kritiker und ich kann mir überlegen, was ich damit anfangen kann.

– „wenn dich eine Kritik trifft, dann betrifft sie dich“

Vielleicht macht sich jemand insgeheim viele Vorwürfe und wertet sich ab. Dann ist es sinnvoll, das zu erkennen und seinen Frieden mit sich zu machen.
In beiden Fällen läuft die Empfehlung jedoch oft darauf hinaus, Kritik einfach abprallen zu lassen. Aber ist das nicht Überheblichkeit. Kann sich selbst annehmen nicht auch bedeuten, sich als unvollkommen und verletzlich zu akzeptieren und zu wissen, dass man immer sein Bestes versucht hat. Es macht vielleicht sogar, Kritik besser annehmen zu können. Vielleicht ist das Selbstbewusstsein dann sogar größer, weil man keine Angst mehr hat, kritisiert oder durschaut zu werden.

Es käme darauf an zu sagen: wir sind menschlich, unvollkommen, mit Ängsten, mit Schwächen und Fehlern, und das ist bei allen so, das verbindet uns. Das ist völlig akzeptabel. Nichts ist falsch und muss bekämpft oder unterdrückt werden. Da wäre der Ort, Abwertung sein zu lassen. Aber auch keine grandiose, alles überdeckende Aufwertung.

Von da aus können wir versuchen, zu kultivieren, die beste Version von uns selbst zu finden und zu entwickeln. Nicht (zumindest nur) das, was von außen erwartet wird. Am besten zusammen mit anderen in Gemeinschaft. Nur so merken wir, dass es allen ähnlich geht und können den Druck ablegen, uns immer gleich verteidigen zu müssen, weil wir nicht ohne Blöße dastehen wollen.

Setzt natürlich die Bereitschaft voraus, uns unserer selbst überhaupt gewahr werden zu wollen. Uns verändern zu wollen. Denn das können wir letztlich nur selbst. Gekaufte einfache Reparaturen von außen, also Therapie als Konsum ohne eigene Anstrengung, das gibt es kaum.

 Aus Scott Peck S. 276.

Solange der Mensch sich nicht selbst in den Augen und Herzen der Mitmenschen begegnet, ist er auf der Flucht.
Solange er nicht zulässt, dass seine Mitmenschen an seinem Innersten teilhaben, gibt es für ihn keine Geborgenheit.
Solange er sich fürchtet, durchschaut zu werden, kann er weder sich selbst noch andere erkennen- er wird allein sein.
Wo können wir solch einen Spiegel finden, wenn nicht in unserem Nächsten …

Diethard