19. Palaver Körperkontakt am 20.9.25

Wie gehabt: Kaffee und Kuchen ab 14:30 , Austausch und Diskussion ab 16:00, danach gemeinsames Abendessen.
Inzwischen kommen die meisten Teilnehmer Freitagabend bis Sonntag. Das gibt genügend Gelegenheit zur Vertiefung und anderen Gesprächen-

Grundgedanken zum Palaver

Mehr noch als um die Meinung zu einem bestimmten Thema geht es darum, nachzuspüren, was die Beschäftigung mit dem Thema mit einem macht, wie man sich damit fühlt. Das lässt sich nicht aus dem Kopf heraus beantworten, sondern man muss den Körper befragen. Schon gar nicht geht es darum, die eigene Meinung durchzusetzen, nur zuzuhören, um möglichst schnell zu entgegnen, um zu widerlegen. Solcherart Austausch schafft mehr Trennung als Verbindung. Es geht darum, zuzuhören, um zu verstehen. Alles darf sein. Es bietet die Chance, die eigene Sicht zu erweitern und zu ergänzen. Zum menschlichen gehört ein breites Spektrum von Gefühlen und Einschätzungen. In einem Vertrauensraum sein eigenes daneben zu stellen, damit vielleicht sogar ein Wagnis einzugehen, sich aus der Deckung zu trauen, kann befreiend sein für alle, weil es zugleich eine Einladung an alle darstellt, das Ich-Gefängnis mit den selbst errichteten Schutzmauern zu verlassen.

Die grundsätzliche Haltung, dass alles menschlich ist und sein darf, schafft Verbindung und Gemeinsamkeit. Ist hier eine Basis geschaffen, ein Grundvertrauen, kann man sich auch durchaus gegenseitig kritisieren oder Hinweise geben. Das ist jedoch nicht Absicht oder Gegenstand des Palavers.

Die Angst, lieber nichts zu sagen, weil es falsch sein könnte, oder andere aufzufordern, das Richtige zu denken und zu sagen, führt eher zu Spaltungen.

Letztlich kann jeder nur selbst seine Sichtweisen und Einstellen erweitern oder korrigieren.

Diskussionen können nur dann ernsthaft gelingen, wenn man annehmen kann, dass die anderen auch, und sei es nur teilweise, Recht haben könnten.

Es wäre wünschenswert, auf gesellschaftlicher Ebene die Diskussion der großen Fragen wieder aufzunehmen.

Körperkontakt  

Da lässt sich verschiedenes darunter verstehen.

 Erstmal Berührung des eigenen Körpers oder eines anderen Körpers oder berührt werden. Das kann angenehm sein als Umarmung, als Streichel- oder Schmusekontakt, so man es denn will, oder eben auch unangenehm. Ich kann in eine Schlägerei geraten oder mich stoßen. Da wird der Kontakt meines Körpers mit der Welt unangenehm bis schmerzhaft.

Später mehr dazu.

Zum zweiten könnte man auch die Beziehung zum eigenen Körper darunter verstehen. Wie sorgsam gehe ich mit ihm um, wie wichtig ist er mir. Wenn ich Kontakte nur noch übers Internet pflege, geht Körperlichkeit völlig verloren. Letztlich werden auch Töne, Gesten, Haltungen und letztlich Sprache vom Gegenüber auch körperlich wahrgenommen.

In den letzten Jahren hat sich in bestimmten Milieus ein Trend verstärkt, den Körper eher als lästig zu bekämpfen oder als bedeutungslos und beliebig manipulierbar zu verstehen. Einem völlig verkopften Zeitgeist mit dem Wunsch nach absoluter Kontrolle macht ein Körper mit triebhaften Neigungen und unbewussten Anteilen eher Angst.

Zumal in der Pubertät ist der eigene Körper oft rätselhaft und fremd bis hin zur Ablehnung Insbesondere Mädchen wird dann die Anwendung von Pubertätsblockern und später dann korrigierende Operationen angeboten. Das ist ein Horrorszenario, aber immer noch Gesetzeslage in Deutschland. Zur Not springt das Jugendamt ein, wenn Eltern sich querstellen. Dabei ist längst evident, dass sich diese Probleme auf diese schon fast transhumane Weise nicht lösen lassen.

Die Mädchen werden verstümmelt und letztlich unglücklich.

Drittens lässt sich noch eine grundsätzlich andere Sicht einführen, bei der der Körper als das entscheidende Aktivitätszentrum angesehen wird und nicht mehr das Bewusstsein und die Gedankenkonstrukte die beherrschende Ich-Rolle spielen und der Körper nur Objekt ist.  Man spricht dann zur Unterscheidung auch von Leibphilosophie. Dafür spricht vieles. Wir machen uns oft nicht bewusst, was der Leib alles kann, was er an Lebenserfahrung gespeichert hat, was er an geistigen Fähigkeiten mitbringt. Nur weniges gelangt dabei bisweilen ins Bewusstsein. Es ist deshalb nicht verkehrt, sich in erster Linie vom Leib leiten zu lassen. Der gespürte Leib als Grundlage und Quelle unseres Lebens. Bei dem die Trennung zwischen Geist und Körper aufgehoben ist. Über den wir wieder mit der Natur verbunden sind. s. hierzu Jens Marxen: Leibphilosophie. Den Sinn des Lebens spüren

Zurück zu Punkt eins.

Berührung ist wichtig für eine gesunde Entwicklung. Insbesondere für Babys und Kleinkinder ist sie essentiell. Babys hatten bei früheren Kulturen immer Körperkontakt, bei Hochkulturen wurden sie zunehmend getrennt und kamen in die Wiege und den Kinderwagen. Darstellungen im Mittelalter zeigen oft „Bodenkinder“. Die Babys liegen nackt auf dem Boden, die Mutter und andere stehen und beten.

Franz Renggli – der ganz normale Irrsinn – die Natur- und Kulturgeschichte der Mutter-Kind-Beziehung

Im dritten Reich gab es einem Erziehungsratgeber von Johanna Haarer, in dem Unterlassung von Hautkontakt und zu viel Zuwendung empfohlen wurde. Bindungslosigkeit ist für Kriegstüchtigkeit eben hilfreich.

 Inzwischen ist die Bedeutung von Körperkontakt allgemein akzeptiert und die Situation hat sich durch Tragetücher und Gestelle wieder verbessert. Durch pädophilen Missbrauch hat die Befriedigung des Kontaktbedürfnisses von Kindern jedoch seine Unbekümmertheit verloren.

So gibt es überall Regeln. Erzieher sollen selbst kleine Kinder von 1-3 nicht von sich aus in den Arm nehmen oder auf den Schoss. Der Anstoß sollte von den Kindern kommen. Da ist die Frage, ob Kinder in diesem Alter von sich aus diese Bedürfnisse erkennen und dann noch äußern können. Signale ja, aber äußern eher nicht. Bleibt die Frage, ob das der Bedeutung von Körperkontakt gerecht wird. Da bleibt ein Problem.

Auch für Erwachsene ist Körperkontakt eminent wichtig, mit positiven Einflüssen auf die Gesundheit. Das geht von Wirkungen auf das Immunsystem bis seelischem Gleichgewicht.

Ich gehe mal davon aus, dass wir in unserer Gesellschaft da große Defizite haben. Das zeigen auch die angebotenen Kuschelkurse, Kuscheltherapie und sogar der Weltknuddeltag. Auch Kuschelroboter gibt es inzwischen. Schon erstaunlich, was wir alles nicht mehr auf eine humane Weise hinkriegen.

Beim Kuschelkurs gibt es dann die Leitung durch einen Kuscheltrainer, der auch auf die einzuhaltenden Grenzen zu achten hat. Also: ohne Probleme lässt sich das Problem nicht lösen.

Tierkontrakte sind minder kompliziert und spielen eine große Rolle in unserer Gesellschaft, auch gegen zunehmend verbreitete Einsamkeit. Meine Katzen und auch der Hund, manchmal sogar die Schweine, lassen sich gerne streicheln. Die Katzen schnurren und genießen. Seufz. Könnte das unter Menschen nicht ähnlich sein. Solche Reaktionen von erwachsenen Gästen sind häufig, und das war für mich auch der Anlass, das ganze zum Palaverthema zu machen. Selbst in festen Beziehungen fehlt der liebevolle schmusige Umgang oft weitgehend. Und außerhalb wird’s gleich problematisch.

Eine Lösung habe ich da nicht. Ich habe in solchen Fällen wenige Male meine Bereitschaft zum kuscheln angeboten und damit irritiert oder Befremden ausgelöst. Wie kaum anders zu erwarten. In einem Falle wurde das immerhin als positive Geste aufgenommen. Dazu kommt noch, dass so ein alter Zausel sich gefälligst sowieso zurückhalten sollte. Als ob Körperkontakt im Alter eh vorbei sein sollte.

Es gibt nicht wenige Menschen, die sich Körperkontakt völlig abgewöhnt haben und so durch Verdrängung das Problem „lösen“. Sie müssen dann erst wieder eine Therapie machen, um überhaupt Berührung oder Umarmung auszuhalten.

Wahrscheinlich könnte allein mehr Körperkontakt in unserer Gesellschaft das Klima zum positiven verändern. Wenn nicht alle, die sich verloren fühlen, gemeinsam mit anderen gegen etwas sein müssen, um sich zugehörig und orientiert zu fühlen. Ein Gegenentwurf zu dem einseitigen “Widerstand ist Leben“. Zumindest die notwendige Ergänzung.

„Wenn die Bereitwilligkeit zum Krieg ein Ausfluss des Destruktionstriebes ist, so liegt es nahe, gegen sie den Gegenspieler dieses Triebes, den Eros, anzurufen. Alles, was Gefühlsbindungen unter den Menschen herstellt, muss dem Krieg entgegen wirken “(Freud an Einstein in “Warum Krieg“)